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"Brundibár" und später mehr
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Brundibár: Karikatur und Titel


In "Brundibár" wird ein Mensch, der keinen "ehrlichen" Beruf ausübt, wie es früher hieß, ein Fahrender und "Standesloser", der nichts getan hat, von einer Kindermeute gejagt, gedemütigt und vertrieben. Da die Oper für diese Kinder, in denen wir die unverbildete Natur und das Urwüchsig-Volkhafte erblicken sollen, parteilich ist, ohne sich den Schritt ins Politische zu getrauen - eigentlich müssten die Kinder das Establishment angreifen, den Milchmann enteignen, den Polizisten verjagen - , macht sie aus dem Straßenmusiker, der mühsam und stets gefährdet um sein bestrittenes Recht und seine fragile wirtschaftliche Existenz kämpfen muss, einen bramarbasierenden, gar zu kriminellen Handlungen bereiten Kinderschreck. Gegen ihn wehrt sich schon der gute natürliche Instinkt, er ist also ein Ekel, um es umgangssprachlich auszudrücken, und an einer Stelle wird der Feldzug gegen ihn gar zum beispielgebenden Aufstand gegen einen "Diktator" emporstilisiert. Peinlicher-, aber konsequenterweise verkleiden, schminken, frisieren ihn die üblichen Inszenierungen dementsprechend: schwarz, haarig, bärtig, ungermanisch, Gefährlichkeit ausstrahlend. So gar nicht will hierzu die Titelgrafik passen, die dem Klavierauszug der maßgeblichen Prager Ausgabe beigegeben ist:

Ich indessen, mit meinen Entdeckungen frisch und eifrig befasst und auf dem Sprung, genauere Musik- und Textkritk zu betreiben (dieser Klavierauszug bietet außer dem deutschen auch den englischen Text sowie das tschechische Original, das man unbedingt studieren muss), wusste beim ersten Aufschlagen, wen ich vor mir hatte: den wirklichen, den von dieser eigentümlich missglückten Kinderoper noch nicht diffamierten Brundibár, "meinen" Brundibár.

Ein freundlicher, feinsinniger Herr in mittleren Jahren, sicher nicht so alt wie es scheint, im gutbürgerlichen schwarzen Pelzkragenmantel, in den er aber mit seiner verdächtigen Magerkeit und unmilitärischen Gekrümmtheit ("gedient?" o nein!) nicht recht hineinpasst, ein bisschen also Taugenichts und Hungerleider, wie man früher gesagt hätte, keiner, der oben schwimmt, Karriere machen wird... ein Künstler eher, der weder regelmäßig isst noch schläft, ein Bohémien, gut möglich ein Musiker, einer, den nicht die Hausmeister, schon gar nicht die Blockwarte, aber die Kinder lieben, weil er selbst ein wenig Kind geblieben ist - eine Art Pan Tau vielleicht oder Dr. Doolittle... - aber auch, 1938, im Entstehungsjahr der Oper, ein Gefährdeter, einer, den sie jagen werden, so oder so, nicht nur, weil er ein wenig dem jungen Fritz Kortner ähnelt, will sagen: liebevoll karikiert jüdische Züge trägt.

Seriöse Verlage geben die Herkunft ihrer Grafiken an, und so liest man, wenn man umblättert, dass dies ein Karikatur des Komponisten Hans Krása ist, gezeichnet von seinem Freund und Librettisten Adolf Hoffmeister. Da Hoffmeister vor Hitler fliehen wird, befinden wir uns mit dieser Zeichnung im noch nicht okkupierten, noch tschechischen Prag. Noch halten die beiden es, in einem toleranten Vielvölkerstaat und einer Weltstadt lebend, mit ihrer deutschen Muttersprache und Kultur, noch sind sie nicht gewaltsam als Juden identifiziert; dies jedoch steht bevor, was man seit der sog. Kristallnacht wenige Jahre zuvor auch in Prag mindestens ahnt.

Ich mache mir nichts vor: Gut möglich, sogar das Wahrscheinlichste, dass man einfach diesen Fund: Librettist karikiert Komponisten, unterbringen wollte und gar nicht beabsichtigte, was jeder naive Leser freilich so realisiert: ein Bild des Titelhelden zu liefern. Doch so steht es nun einmal da, gewollt oder nicht. Für mich gewinnt das Bild durch das Wissen, um wen es sich ursprünglich handelte und wer es zeichnete, an Tiefe und Tragik.

Indem ihnen ein schwacher Text unterlief (eine konservative Kulturkritik ohne revolutionären Biss, eine halbherzige Parteinahme für die Kinder in einer kinderfeindlichen Welt) und unter ihren Händen ein Sündenbock für das Kranken an der Moderne entstand, ein schwacher Einzelner, der sich zur Jagd durch die "Meute" anbietet, haben Krása und Hoffmeister ohne das zu wollen die Menschen ihres eigenen Schlages an den Pranger gestellt und der Vernichtungsmaschinerie dargeboten - ja sich selbst. Wie unzählige Fahrende, Unangepasste, Intellektuelle, Künstler, wie Millionen als Grundübel der modernen Welt denunzierte Juden, wird Krása in Auschwitz ermordet werden, von völkisch Gesinnten, in "gesundem Volkempfinden" Handelnden, Hoffmeister dem nur durchs Exil entgehen.

So besehen, wird dieses Titelblatt zum Denkmal auch einer tragischen Selbstverstrickung - und einer Wahrheit, die tiefer geht als jenes gutwillig-eindimensionale Eingedenken, für das die Opfer rein bleiben müssen, dem aber, inhumanerweise, ihre Menschlichkeit, ihre menschliche Widersprüchlichkeit und Fehlbarkeit, verschlossen bleibt.