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"Brundibár" und später mehr
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Brundibár
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"Brundibár" aufführen?

Eine einzigartige Aufführungsgeschichte hat aus "Brundibár", diesem problematischen Werk des Prager Krisenjahres 1938, eine ehrwürdige Kostbarkeit gemacht: "Musik an der Grenze des Lebens", um es mit dem schönen Titel des Buches von Milan Kuna an dieser Stelle nur anzudeuten. Nicht leichthin wird man darauf verzichten wollen, diesen Schatz in immer neuen Aufführungen zu heben.

Kaum zu verkennen, ist meine Forderung, das Werk ins Museum zu verbannen, in einem übertragenen Sinn zu verstehen: Man führe es so auf, dass eine auf Wissen und Kritik gestützte historische Distanz hergestellt und erhalten wird - sagen wir: in der Gedenkstätte Theresienstadt durch die studentischen Teilnehmer eines Symposions über KZ-Kultur; im Rahmen eines Dokumentarfilms; oder vielleicht auch so, wie es in einer viel beachteten und im Internet dokumentierten Wiener Aufführung (http://www.bth.at/~amadeusknabenchor/
kritik/brundibar99.htm) geschehen ist: eingelassen in eine Rahmenhandlung von Verfolgung und Vernichtung: da sind Kinder aus Theresienstadt in einen Wagon zusammengepfercht worden, und während des Transports in den Tod führen sie ein letztes Mal ihre geliebte Oper auf. Mittel "epischer" Verfremdung aus dem Brecht-Theater bieten sich an.

Doch "Kinderoper", Kindertheater ist etwas anderes. Da hat Distanz nichts zu suchen. Kindliche Schauspieler identifizieren sich mit ihren Rollen sans phrases, und so tun es auch die kindlichen Zuschauer. Sie fiebern mit, sie leiden mit, sie nehmen das Gespielte zum Muster des Lebens. Unerträglich ist es, sie teilnehmen zu lassen an einer Jagd, bei der dreihundert einen Randständigen, der auf das Einhalten von Recht und Gesittung angewiesen ist, hetzen, demütigen und exilieren, und ihnen dabei auch noch zu vermitteln, dass sie es dabei den helden- und engelhaften Opfern der schlimmen Hitlerzeit nachtun.

Nein, bei allem Respekt vor dem guten Willen: mit so etwas muss Schluss sein, so gehört "Brundibár" nicht mehr auf die Bühne.

Aber muss es so sein? Sind nicht freiere, kritische, reflektierte Inszenierungen denkbar, die das Kostbare des Stücks als eines Dokuments äußersten Lebenswillens und einer unvergleichlichen Chance spielerischen Eingedenkens bewahren, ohne seiner gefährlichen, ganz und gar unpädagogischen Tendenz, dem "Geist von 1938" zu erliegen?

Vergegenwärtigen wir uns noch einmal, wo, aus heutiger Sicht, die fatalen Schwächen des Stücks ihren Ursprung haben, und fragen wir uns, wie eine modellierende, vielleicht gegen des Strich bürstende Inszenierung etwas zu retten vermöchte.

Auf eine einfachste Formel gebracht, kann man vielleicht so sagen: das Grundübel des Stücks, die Weichenstellung, von der aus alles in die falsche, die menschenfeindliche Richtung geht, ist sein halbherziger Realismus. Im innersten Kern ist der Stoff ja eher märchenhaft: ein Verschnitt von "Hänsel-und-Gretel"-Artigem mit allerlei Kinderschreck-Figuren. Doch dann musste gleich die ganze Erwachsenenwelt, ja die "Moderne" auf die Anklagebank, aber nicht mit politischer Konsequenz, sondern umlenkend so, dass nach bewährtem Muster ein Außenseiter zum Sündenbock und Katalysator gesund-aggressiven Kinderempfindens wurde.

Letzteres macht den Kern von Inhumanität in diesem Stück aus. Kann ein kritisch reflektiertes Inszenieren es mit diesem Kern aufnehmen?

Ich sehe zwei Möglichkeiten. Mit der einen möchte ich an das über die Titelgrafik Ausgeführte anknüpfen und vorschlagen, die Titelfigur konsequent in die ideologisch noch unverfärbte gesellschaftliche Realität des Präfaschismus zurückzuübersetzen und in ihr ein exemplarisches Opfer völkischer Meute-Gewalt zu sehen. Hoffmeisters Krása-Karikatur könnte das Vorbild sein, der Hauptdarsteller der wunderbaren tschechischen Pan-Tau-Serie wäre eine Idealbesetzung, auch Robin Williams oder Armin Mueller-Stahl. Das Stück handelte dann von einer Art Hexenjagd oder Pogrom und kehrte die Parteinahme um: die Kinder wären die Täter. Am Schluss könnten sie angesichts dessen, was sie angerichtet haben, zur Einsicht kommen und den Schlusschor mit Brundibár gemeinsam singen, von seiner Drehorgel begleitet.

Dem Machwerk von 1938 geschähe damit nur recht. Doch wem liegt eigentlich an diesem? Das Stück, das man spielen und sehen möchte, ist doch das von den Kindern in Theresienstadt beseelte, das von ihrem Lebenswillen und Schicksal durchtränkte. Genau hieran könnten solche die historische Wahrheit ins Recht setzenden Inszenierungen scheitern: unvermeidlich wohl, dass sich die Botschaft nach vorn drängte und zum Vorwurf würde, die Opfer hätten mitgemacht, ihresgleichen an den Pranger zu stellen - kindliches Denken überfordernd und in falsche Richtungen lenkend.

Vielleicht sollte man eher in die entgegengesetzte Richtung gehen: zurück zum Märchenhaften, weg von den wirklichen Menschen einer bestimmten Zeit. Da sehe ich denn Brundibár mit seinem mechanischen Instrument verschmelzen und zum wandelnden, intelligenzbegabten Musikautomaten werden, der die Menschen mal fasziniert, mal ihnen auf die Nerven geht (und dem Hund auf die empfindlichen Ohren, was seine Beißlust endlich konkret motivieren, zugleich aber der Folgenlosigkeit wegen ins Komische ziehen würde), mal sie am Selbersingen hindert. Die Aktualität für heutige Kinder liegt auf der Hand, aber es würde auch eine im Stück selbst liegende Tendenz aufgegriffen, und ganz entschieden wären Brücken zur Theresienstädter Rezeption zu schlagen: Pflege eigener Kultur gegen Nazipropaganda, Überwindung der Angst vor den "Maschinen", der lebensbedrohenden Maschinerie. Solches würde zur Strecke gebracht und verhöhnt - und nicht ein lebendiger Mensch.